Chinesische politische Spionage in Deutschland

Die chinesische Regierung darf sich freuen: Ein wichtiges und höchst sensibles Gerichtsverfahren ist derzeit in London eingestellt worden. Die britische Regierung habe demnach angeblich nicht ausreichend Belege zur Verfügung stellen können, um den Spionageverdacht gegen die beiden Beschuldigten, Christopher Cash und Christopher Berry, ausreichend zu erhärten. Beide sollen für den chinesischen Geheimdienst gearbeitet und einem Kontakt in Peking sensible Informationen, hauptsächlich aus dem parlamentarischen Bereich, beschafft haben.

Es ist wirklich immer wieder interessant zu beobachten, wie rasch bestimmte Ermittlungen für beendet erklärt oder einzelne Vorgänge plötzlich als doch nicht so wichtig deklariert werden. Man könnte vermuten, dass dahinter gewisse Interessen stecken. Manche Beobachter gehen davon aus, dass auch im genannten Fall der zunehmende Einfluss Chinas auf innen-, außen- und wirtschaftspolitische Entscheidungsprozesse von eigentlich souveränen Staaten zu beobachten ist.

Wirft man lediglich einen einzigen Blick in das offizielle Statement von Matthew Collins, dem Executive Deputy National Security Adviser, so kommt unweigerlich der Gedanke: War das alles nur eine Halluzination, eine wirre Verschwörung?


Die relativ ausführlichen Darstellungen in seinem mehrseitigen Statement lesen sich plausibel und entsprechen dem bisher bekannten Vorgehen in vergleichbaren Fällen. Man gewinnt nicht den Eindruck, dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten handelt.

Für China ist es von Vorteil, dass nun wilde Diskussionen und politische Debatten, mitunter heftig geführt, eingesetzt haben. Ebenso wie bei anderen hybriden Operationen ist genau dieser Zustand das Ziel gewisser Staaten: Unsicherheit und Unruhe schüren, Streit und widersprüchliche Darstellungen in den Medien provozieren, die Sicherheitsbehörden diskreditieren und ausbremsen.

Ich habe das spannende Buch The Black Door: Spies, Secret Intelligence and British Prime Ministers leider fast beendet, denn jede Zeile ist ein Erkenntnisgewinn. Liest man die einzelnen Kapitel, dann begreift man, warum unter der jetzigen britischen Regierung einige Dinge mal wieder anders laufen als unter der Vorgängerregierung. Ähnliche Sinneswandel und Verwirrungen lassen sich auch beim Projekt Neue chinesische Botschaft in London erkennen.

Seit Tagen hat sich also in London ein heftiger Streit um die wahren Hintergründe dieser unerwarteten Einstellung des Gerichtsverfahrens entwickelt. So wird mittlerweile von einigen Seiten erklärt, dass sich die angebliche Kontaktperson in China – ein hochrangiges Mitglied der Chinesischen Kommunistischen Partei und des Ständigen Ausschusses des Politbüros – für die beiden jugendlich wirkenden Briten wohl kaum Zeit genommen haben würde. Es sei im übrigen nicht üblich, dass sich Mitglieder des Politbüros mit Geheimdienstpersonal oder den Arbeitsfeldern der Geheimdienste befassen würden.

Diese Behauptung muss man nach allen bisherigen Erkenntnissen zurückweisen. Kurz gesagt: Es zeigt sich, dass mehrere Levels in einem solchen Kommunikationskanal bestehen können, es also nicht zwangsläufig zu einem direkten Kontakt kommen muss. Dieser wäre angesichts der offiziellen Position des angeblichen Kontaktes in China vermutlich tatsächlich unangemessen oder schwer zu organisieren. Der üblicherweise von den Chinesen beschrittene Weg läuft vielmehr so ab, dass sich dafür vorgesehene und geschulte Personen vor Ort – beispielsweise London oder Berlin – mit ihren Informanten treffen. Und von diesem Level aus geht die Informationsverteilung weiter. Dieses Vorgehen liegt auch im speziellen Arbeitsprozess der chinesischen Sicherheitsbürokratie begründet – was hier nicht weiter vertieft werden soll.

Immerhin konnte sich einer der beiden – nun nicht mehr – Beschuldigten im unmittelbaren Umfeld des ehemaligen Präsidenten des Bundesamt für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, aufhalten.


Man kann nur darüber spekulieren, ob es auch zu einem persönlichen Austausch gekommen ist. Aber Herr Haldenwang ist ja nun in die Politik gegangen.

Nachtrag: Ich wurde von einem Teilnehmer dieser Veranstaltung darauf hingewiesen, dass Thomas Haldenwang letztendlich doch nicht teilgenommen hatte. Stattdessen war sein damaliger Stellvertreter Sinan Selen anwesend:



2. Nachtrag: Ein Teilnehmer informierte mich darüber, dass Sinan Selen nicht persönlich anwesend,  sondern lediglich zugeschaltet gewesen sei.
 

Interessant ist jedoch die Frage, ob zu diesem Zeitpunkt – es handelte sich um eine Veranstaltung aus Februar 2023 – die britischen Behörden ihre deutschen Kollegen darüber informiert haben, dass sich ein mutmaßlicher Spion bei der Veranstaltung tummelt. Denn zu diesem Zeitpunkt waren beide ehemals Verdächtigen bereits unter Beobachtung. Im übrigen waren auch einige andere, nicht unbekannte Deutsche bei dieser Veranstaltung anwesend.

Am Rande festgestellt: In der Stellungnahme von Matthew Collins wird der hochrangige Ansprechpartner in China namentlich nicht genannt. Macht nichts, denn betrachtet man einzelne Details, so findet man die Person. Diese ist tatsächlich im Machtgefüge der Partei in Peking sehr weit oben. In der Vergangenheit führte sie Videokonferenzen mit einzelnen CEOs deutscher Weltkonzerne (über einige wenige verfügt Deutschland immer noch). Und 2024 wird diese Person auch im Protokoll einer Veranstaltung mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz aufgeführt. Zudem hat die besagte Person auch einen besonderen Draht in die Stadt Berlin – aber dessen werden sich die dafür zuständigen Behörden sicherlich bewusst sein.

Wie sehr sich China mittlerweile überall in wichtigen Gremien breit macht, hat Intelligence Online zuletzt anschaulich in dem Artikel Germany's UNESCO ambassador irritates Beijing dargelegt.

Deutsche Akteure stehen hier weiterhin im Fokus chinesischer Kampagnen und Beeinflussungsoperationen. Das ist nicht erstaunlich: Politisch, wirtschaftlich, militärisch und geheimdienstlich wird Deutschland zwar gegenwärtig immer weniger ernst genommen. Aber in Deutschland befinden sich sehr viele Institutionen und Akteure, die gerne als Multiplikatoren der chinesischen Weltsicht agieren. So hat die Chinesische Kommunistische Partei Chinas stolz verkündet, dass sie im Juni 2025 einer Einladung der Sozialdemokraten (SPD) gefolgt sei. Man habe unter anderem Thorsten Frei, Saskia Esken und Hendrik Wuest sowie Vertreter von Siemens oder Mercedes Benz getroffen.

Im Sommer 2025 konnte die chinesische Regierung unter Regie des Ständigen Ausschusses der Chinesischen Kommunistischen Partei – jenem Ausschuss, in dem zufällig der Kontakt der beiden nunmehr nicht mehr beschuldigten Briten einen Sitz hat – ohnehin eine europaweite Progagandatour zelebrieren. In Deutschland wurden im Juni und anschliessend im Juli 2025 die Netzwerke ausgebaut: Nicht nur die SPD, auch die Hanns Seidel Stiftung durfte sich freuen, Mitglieder der chinesischen Parteischule zu begrüßen. Über den im Juli in Berlin stattgefundenen achten deutsch-chinesischen strategischen Dialog zu Diplomatie und Sicherheit sowie den Hintergründen der angereisten chinesischen Delegation mal ganz zu schweigen.

Der Tod aller geheimdienstlichen Arbeit ist die politische Einflussnahme, wie man sie leider mittlerweile auch bei bestimmten westlichen Staaten erleben muss. Ein dazu passender Aufsatz von Richard K. Betts lautet The Intelligence Community’s Politicization: Dueling to Discredit, im August 2025 publiziert vom Council on Foreign Relations. Besorgniserregend ist der Umstand, dass es sehr lange dauern kann, bis diese Einflussnahme einer nüchternen und objektiven Arbeit weicht. Der bereits angerichtete Schaden ist bereits so verheerend, dass sich die Regierungen gewisser Staaten gegenseitig auf die Schultern klopfen können.