"Am Ende einigten die Alliierten sich darauf, uneinig zu bleiben."
Nein: Das ist nicht das Schlusswort von Olaf Scholz nach der Ukraine Konferenz in der Schweiz, die in paar Tagen stattfinden wird. Könnte allerdings passen.
Es ist ein Zitat aus dem sehr lesenswerten Buch "In geheimer Mission. Als Sonderbeauftragter Roosevelts bei Churchill u. Stalin 1941 - 1946" von William Averell Harriman und bezieht sich auf die Konferenz 1945 in Jalta.
Auch heute ist dieses Buch lesenswert, denn es zeigt, wie gravierend das Zögern und Zaudern auf der einen Seite sich auswirken kann - zum Vorteil der anderen Seite, damals Stalin. Das, was einige Politiker wie Churchill damals ahnten - nämlich dass sich Stalin mittelfristig um keine Abmachungen scheren wird - und was viele der Westalliierten aufgrund kurzfristiger Interessen ignorierten, lässt sich auch heute beobachten: Wie positioniert sich der Westen gegenüber Staaten wie Russland oder China? Wie selbstbewusst und unbeirrt treten demokratisch gewählte Regierungen gegenüber Autokraten auf und wo ziehen sie ihre rote Linie, die aufzugeben sie nicht bereit sind?
Damals war es Stalin und sein System, welches früher oder später zum dem Schluss kam, dass der Westen der Gegner sei. Sozusagen ein lästiges Hindernis auf dem Wege zur weltweiten Befreiung der Massen.
Spätestens seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine im Februar 2022 entwickelt sich unter anderem im Bereich der Geheimdienste eine Kooperation jener Staaten, die derzeit nur ein Hauptthema vereint: Der Westen als Gegner. Unter diesen Oberbegriff fallen diverse Punkte, die zum Teil konkrete Befindlichkeiten betreffen - beispielsweise Sanktionen, Einreiseverbote, Einfrieren von Konten, Wegbrechen von Absatzmärkten usw.
Andere Punkte sind eher weltanschaulicher Natur. Dazu gehören Menschenrechte, Individualismus, parlamentarische Prozesse und einiges mehr. Ich habe den Eindruck, dass diese sich weiter ausbauende geheimdienstliche Kooperation von den westlichen Geheimdiensten zwar nicht ignoriert, aber unterschätzt wird.
Im Mai 2024 hatte ich die Gelegenheit, an der schönen Universität Exeter im Rahmen einer Veranstaltung meine These dazu vorzutragen und mit Experten auf dem Podium sowie dem Publikum zu diskutieren.
Bezogen auf Deutschland und hier besonders auf Berlin als Hauptstadt lassen sich drei Gruppen von Akteuren benennen, die von ihrer Gegnerschaft gegenüber "dem Westen" getrieben werden. Der Krieg in der Ukraine bringt sie teilweise notgedrungen zusammen. Fast alle der Akteure aus den ersten beiden Gruppen verfolgen ideologische Ziele, die untereinander nicht völlig kompatibel sind. Aber egal: Der Westen ärgert sie und ihre hegemonialen Ansprüche, verdirbt ihnen die Wirtschaftsbilanzen oder aber nervt mit woken Themen. Aus diesem Grund vertieft sich das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Staaten, unter anderem im seltsamerweise wenig beachteten Format der Shanghai Cooperation Organization (SCO). Seit Beginn an fand innerhalb der SCO auch eine geheimdienstliche Kooperation der Mitglieder statt. Das wird derzeit weiter ausgebaut - mit der Folge, dass die Geheimdienste der ersten Gruppe - Russland, China und Iran - aktuell vorrangig im Westen, in Europa, in Deutschland, in Berlin kooperieren. Man kann diese Kooperationen in verschiedenen lokalen Formaten beobachten.
In der zweiten Gruppe, die wesentlich mehr Mitglieder hat, befinden sich überwiegend willfährige Helfer und Vollstrecker der ersten Gruppe. Auch diese sind in Berlin fast alle über ihre Vertretungen ansässig.
In der dritten Gruppe befinden sich semi-staatliche und nicht-staatliche Akteure, die besonders in Berlin an jeder Ecke und bei jeder Demonstration zu finden sind. Unter anderem handelt es sich um gewisse Freundschaftsvereine, Kulturorganisationen, sogenannte Exilregierungen oder gewisse Parlamentarier - um nur ein paar wenige zu nennen.
Betrachtet man die Mitglieder dieser drei Gruppen lediglich in Berlin, so kann man eine Karte erstellen, aus der einerseits ihre realen, tatsächlichen Örtlichkeiten hervorgehen. Diese sind nicht nur in offiziellen Vertretungen angesiedelt. Gewisse "Think Tanks" und ähnliche Formate bieten ebenfalls komfortable Lösungen. Zusätzlich aber lassen sich ihre sowohl realen als auch virtuellen Aktivitäten erfassen, teilweise kombinieren und in der Realwelt abbilden. Bei meinem Versuch, dies in einer Analyse durchzuführen, wurde mir schnell klar, dass es sich letztendlich nur um eine Momentaufnahme handeln kann. Das macht es meiner Meinung nach für die westliche Spionageabwehr zusätzlich schwer: Der Gegner als fluides, facettenreiches, kleinteiliges Objekt, welches bürokratischen Erfassungsprozessen mitunter leicht ausweichen kann.
Weiteres Erschwernis: Im Umfeld dieser Gruppen tummeln sich Staaten, die nicht direkt den Westen als Gegner sehen, deren Geheimdienste aber gewisse "Standards" besonders der ersten Gruppe zu kopieren scheinen: Dazu gehört das Einschüchtern und Bedrohen von Dissidenten oder zuweilen auch die Liquidierung missliebiger, eigener Staatsangehöriger im Ausland - beispielsweise in Kanada, aber auch in Europa. Leider brauchen wir aber diese Staaten, um die Migrationsströme besser kontrollieren zu können. Oder aber um sie gegen China als Gegenpol aufzubauen. Oder aber weil wir ihr Öl und Gas benötigen. Diese Staaten kann man übrigens auch nicht als lupenreine Demokratien bezeichnen.
Die oben genannte SCO ist nach meiner bisherigen Recherche in keinem einzigen Verfassungsschutzbericht des Bundes oder der Länder genannt worden, obwohl die dort getroffenen Beschlüsse extrem wichtig für das Vorgehen der Geheimdienste der Mitgliedstaaten sind. Und dabei stellt die SCO nur ein Format von mehreren dar! Auch andere müssten hier verstärkt ins Visier genommen werden. Immer wieder höre ich die Argumentation, dass "die alle so unterschiedlich" sind und sich eher feindlich gesonnen seien. Das hat sich bereits in der jüngsten deutschen Geschichte als Trugschluss erwiesen. Man nehme beispielsweise die Kooperation der Stasi mit den Geheimdiensten Nordkoreas - die übrigens oft zum Ärger der Stasi stattfand: Nordkorea hatte teilweise Unmengen an Anfragen gestellt, die der liebe "Bruderdienst" dann zähneknirschend abarbeiten musste. Beide Systeme waren völlig unterschiedlich, hatten aber einen gemeinsamen Gegner.
Am 21. Mai 2024 hatte die SCO erklärt: "We will continue to strengthen our security cooperation, including by further improving the corresponding mechanisms for countering present-day challenges and threats, primarily in terms of dealing with the so-called three forces of evil."
Die drei teuflischen Mächte, die aus der hübschen, blumigen Feder Chinas stammen, sind sozusagen integraler Bestandteil der chinesischen Sichtweise auf die Welt. Die Darstellung des Gesamtkonzeptes, welches für den Westen absolut unakzeptabel sein muss, würde hier den Rahmen sprengen. Aber ganz sicher gehört das dazu, welches besonders die erste Gruppe will: Ein kontrollierbares, nationales Internet.
Ethnische, religiöse oder innenpolitische Differenzen sind nicht so wichtig für die Kooperation von Geheimdiensten - das zeigt die SCO. Wichtig ist der gemeinsame Feind - und das ist der Westen. In den Absprachen der SCO steht nicht: "Folgende Operationen sind in Berlin durchzuführen..." Jedoch werden regionale Auftragslisten erstellt, die auf die Zielstaaten und ihr gesellschaftspolitisches System zugeschnitten sind. Einzelne besonders gewichtige Staaten - die der ersten Gruppe - geben hier die Marschrichtung vor. Das entspricht letztendlich dem Vorgehen westlicher Bündnisse, die sich als effizient erwiesen haben - insbesondere natürlich Five Eyes. "The international cooperation philosophy and practices [ ... ] offer an instructive example of how one member of the Intelligence Community is acting on the broader intelligence-cooperation policy and implementation guidelines." Dieses Zitat (S. 224) bezog sich zwar auf einen US Geheimdienst, aber es umschreibt das Vorgehen, wie wir es leider immer mehr beim Gegner erkennen müssen - mit den Folgen bis unsere Hauptstädte hinein.
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