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Im Exil...

 ...sind so manche und offenbar auch ein Amin Golmaryami: Im Zeit Magazin Nr. 4 vom 28.10.2021 werden seine Geschichte und seine Erfahrungen mit den Volksmudschahedin sowohl in Deutschland als auch im Irak geschildert. Zu Beginn verwirrt der besagte Artikel, denn er beschreibt Golmaryami als einen Mann, "der gern Nike-Turnschuhe trägt." Vielleicht bin ich etwas übergenau, aber: Auf den beiden Fotos im Artikel trägt er eine andere Marke! 

Das ist aber eigentlich unwichtig. Spannend ist vielmehr zu sehen, wie etabliert und aktiv über Jahre hinweg derartige Organisationen arbeiten - im vorliegenden Fall ist es die eingangs erwähnte Politsekte aus dem Iran, die auch unter diversen anderen Namen und Tarnorganisationen in Erscheinung tritt. Das verweist auf eine Thematik, die meines Erachtens viel zu wenig Beachtung findet: Exilregierungen, oppositionelle Gruppen, Dissidenten usw., die ihre politische und oft auch religiöse Arbeit in Deutschland fortsetzen. In der guten alten Zeit war da einiges los in der Bundesrepublik! Im Verfassungsschutzbericht 1971 werden beispielsweise "Geheimbünde kroatischer Nationalisten" oder "militante Widerstandsgruppen der Exilgriechen" beschrieben. Jahre später, im Verfassungsschutzbericht 1985, ist die Rede von "Organisation der iranischen Studenten in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin, Sympathisanten der Volksfedayin Guerilla Iran (O.I.P.F.G.)" - was für ein Titel!! Oder die "Kroatische Staatsbildende Bewegung (HDP)". Nicht immer handelt(e) es sich um "offizielle", d.h. im Gastland akzeptierte oder gar unterstützte Exilregierungen, sondern oft um militante Gruppen, die zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele auch Bombenanschläge in Deutschland durchführten. Irland als Ursprungsland diverser Organisationen und "Dissidenten" ist bis heute bekannt. Aber wer erinnert sich noch an beispielsweise Korsika? Etliche militante Korsen flohen nach Europa und agierten dort weiter. 

Auch heute gibt es zahlreiche Gruppen und Grüppchen, ab und an von der Politik hofiert, dann wieder fallen gelassen, aber immer irgendwie präsent, sei es offen oder eher klandestin. Viele dieser Aktivisten, die sich selbst als eine Schattenregierung im Exil sehen, wollen die Abspaltung von einem größeren Staatsgebilde. Die Neue Zürcher Zeitung benannte in einem spannenden Artikel vom 23.10.2021 Schottland, Flandern, Baskenland, Katalonien, Korsika, Venetien, Transnistrien, Krim, Ostukraine, Abchasien, Südossetien und Nagorni Karabach. Und das sind nur die Gegenden unmittelbar in und um Europa! Wer analysiert die staatsumstürzlerischen oder sonstigen Ideen von Gruppen aus afrikanischen  oder südamerikanischen Ländern? Es gibt Gruppen, welche die pakistanische oder die indische Regierung nicht anerkennen. Wer versteht die Zusammenhänge zwischen politischen, religiösen und ab und an auch kriminellen Interessen, die sich mit der Zuwanderung dieser Personenkreise in Europa oder eben Deutschland etablieren? Vermutlich kann man das quantitativ vernachlässigen, aber das ändert nichts an der Tatsache einer gewissen Militanz in der Planung und zuweilen Umsetzung. Was zeichnet überhaupt eine gute und eine böse Exilregierung oder Exilopposition aus?

Dazu kommen weitere Aspekte, die einer sicherheitspolitischen Betrachtung unterzogen werden müssen: Welche dieser Grüppchen und Gruppen dienen als Anlaufstelle für welche Botschaftsangehörigen? Wer davon betreibt geheimdienstliche Tätigkeiten und überwacht beispielsweise andere Dissidenten?

Ich skizziere hier lediglich grob, um eine erste Kategorisierung anzudeuten:



Eine Datenbank, die ich mit Details zu diesen Organisationen füttere, ist offenbar ein umfangreicheres Projekt, als ich anzunehmen wagte. Fest steht für mich, dass hier eine Studie durchgeführt werden müsste, um diese völlig uneinheitliche und oft intransparente Szene auf ihre Demokratietauglichkeit hin zu durchleuchten. Diese Szene hat mitunter recht mondäne Anschriften und Klingelschilder, Hinterzimmer, Garagen, Privatwohnungen, provisorische Gebetsräume und Tempel usw. Oder es sind lediglich regelmäßige Treffen im universitären Umfeld, zu denen an einer Sezession interessierte Landsleute kommen können. Andere sind politisch gut vernetzt und treffen sich mit ihren symapthisierenden Kontakten in Parlamenten und Stiftungen. 

Leider ist - wenn ich es richtig sehe - mit der vierten Auflage (2004) das superspannende Nachschlagewerk "Revolutionary and Dissident Movements of the World", herausgegeben von Bogdan Szajkowski, im Orkus der Geschichte verschwunden. Alle vier Auflagen sind aber weiterhin unverzichtbare Quellen jeglicher Recherche in Sachen Exilregierungen und ähnlich motivierten Organisationen.

Ich denke, dass die wissenschaftliche Untersuchung dieser Szene einen sicherheitspolitischen Mehrwert in sich trägt. Die Stürmung der nordkoreanischen Botschaft in Spanien 2019 durch eine sich als Exilopposition sehende Gruppe ist im Vergleich zum Bombenterror baskischer oder irischer Separatisten harmlos. Aber ein Staat sollte in jedem Fall umfassend über solche Planungen informiert sein - bevor dies auf seinem Staatsgebiet stattfindet.

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